Eigentlich möchte ich schon seit längerem über die Freiheit schreiben, aber ich komme einfach nicht dazu…..auch jetzt nicht. Gestern habe ich einen alten Bekannten getroffen – die Kinder im selben Alter – inzwischen auch die Enkelkinder. Ein positiver, liebenswerter Mensch, einer von denen, die besonnen reagierten, einer der in sich ruhte.
Ich hätte ihn fast nicht wieder erkannt! Er lehnte wie sein eigener Schatten an der Wand. Ich setzte mich zu ihm – etwas zögerlich – er wirkte zurückgezogen, fast ein bißchen abweisend: vielleicht will er seine Ruhe…?
Ich wußte, dass er seit über 40 Jahren in einem großen Betrieb arbeitet, dass er mit großem Engagement eine sehr zentrale Abteilung aufgebaut hatte und diese lange kompetent geleitet hatte. Von seinen Mitarbeitern und Kollegen in der Firma wurde er sehr geschätzt – er war eine Institution! In dieser Zeit hatten wir – auch auf beruflicher Ebene – ab und zu miteinander zu tun. Irgendwann verloren wir uns aus den Augen – bis gestern!
Fast ohne Atem zu holen erzählte er, was alles passiert ist inzwischen, – dass nicht nur alles umstrukturiert wurde und er „aus Versehen“ bei der Umstrukturierung vergessen wurde und damit auch vergessen wurde, ihm mitzuteilen, dass er die Abteilung nun nicht mehr leite, sondern ein junger „formbarer“ Kollege. Wenns sie nicht weiter wüßten, wenns brenzlig werden würde, dann würden sie ihn immer noch holen, ansonsten würde sich keiner mehr für seine Meinung, seine Erfahrung interessieren! Viele kleine und große Geschichten, Kränkungen und Verletzungen erzählte er und konnte gar nicht mehr aufhören… er, der früher so gelassen mit allem umgehen konnte! Und trotzdem war er entschlossen durchzuhalten – jeden Tag wieder….. das ist ja sein Lebenswerk!
Diese „Geschichten“ höre ich auch als Beraterin immer öfter: Abteilungsleiter, Ärzte, Ingenieure in der freien Wirtschaft oder sozialen Einrichtungen…… da kommen engagierte und erfahrene Menschen, die es nicht fassen können, dass sie nach langen Jahren Aufbauarbeit und Engagement ohne Kommentar aufs Abstellgleis geschoben wurden, einer Umstrukturierung aus Versehen zum Opfer fielen, für eine Beförderung mit 50 zu alt sind…… zu teuer seien…..
Mein Bekannter erzählte auch, dass in seiner Firma eine Gruppe Ü50 ins Leben gerufen worden sei ! Was soll ich da, fragte er mich?
Was läuft da schief?
Ich gehe mal davon aus, dass jede(r) im Management weiß, wie es richtig wäre, der Umgang mit Mitarbeitern – angesichts der regelmäßigen Führungskräfteschulungen….! Klar auch, dass Umstrukturierungen notwendig sind. Und selbstverständlich ist ein Controlling notwendig…….
Aber wahrscheinlich hat Otto Scharmer vom MIT -Massachusatts Institute of Technology- recht: ausschlaggebend ist nicht die Methodik, sondern die Haltung, die hinter erfolgreichem Management und Führungsarbeit steht. Wie auch William Isaacs, der über 20 Jahre intensiv zur Kommunikationskultur in Organisationen geforscht hat, sieht er als dafür nowendige Fähigkeiten:
- wirkliches, tiefes Zuhören,
- Respektieren …
- und kohärentes Artikulieren und Handeln.
„Denn das Problem vieler Führungskräfte (….) geht unmittelbar auf die Spaltung zwischen dem Dasein als Mensch und dem konkreten Handeln im Beruf zurück. Am Ende (…) läßt sich beides nicht trennen. Was wir privat tun hat Einfluss auf die berufliche Leistung. Wie wir denken, hat Einfluss darauf, wie wir sprechen. Und wie wir miteinander sprechen , beeinflusst definitiv unsere Effektivität.“ (Isaacs, W. 2011, S.16).
Ja es ist Zeit, sich immer wieder bewusst zu machen: dass sich Leben und Arbeit nicht trennen lassen! Dass es nicht gelingen kann Dinge zu trennen, die auf einer tiefen Ebene miteinander verbunden sind!
Literatur, die Herz und Verstand anspricht:
Isaacs, W. (2011). Dialog als Kunst gemeinsam zu denken. Die neue
Kommunikationsstruktur in Organisationen. EHP- Verlag.
Scharmer, C.O. (2009). Theorie U. Von der Zukunft her führen. Presencing als soziale
Technik. Carl- Auer Verlag.