Befreiung von….. und was dann?

freiheit ocJetzt werde ich als Beraterin und Psychotherapeutin hauptsächlich dann zur Unterstützung  und Begleitung aufgesucht, wenns irgendwo knirscht im Leben.  Ich lerne Wendepunke Krisen und Konflikte kennen- innere wie äußere – aber auch Menschen, die darunter leiden, fest zu stecken, nicht weiter zu kommen. Oftmals geht es dann um eine Befreiung von belastenden Lebensumständen wie schlechten Partnerschaften, Jobs oder Denkmustern……

Mindestens einmal im Jahr habe ich den Impuls einen Abfallcontainer vors Haus zu stellen und auszumisten – all das zu ent-sorgen, was ich im Laufe des Jahres angesammelt habe und nicht mehr benötige – mich von unnötigen Ballast zu befreien….. und immer wieder kostet es mich Überwindung mich von alten Dingen zu trennen!
Aber hinterher fühlt es  sich gut an : ich habe Freiräume hergestellt !

Nur,  was mache ich mit diesem so oft ersehnten Freiraum?  Wie  gestalten?
Meistens ist es so: Ehe ich mich versehe, ist der Freiraum vollgestellt –
……ich hab gerade nicht gewußt, wohin damit und da war gerade Platz….. da hat einfach jemand was reingestellt—

Wir kämpfen, arbeiten für die Befreiung von etwas … zuviel Krusch im Haus, belastenden Lebensumständen, wie mobbenden Kollegen, überlebten Beziehungen. Wir führen Befreiungskriege gegen Zwangsherrschaften und Bevormundung……
Und das ist auch gut so, das ist notwendig, sich des Ballastes, des Zwangs zu entledigen.

Wieder freier atmen können!

Und dann? Dann sollte doch etwas Neues beginnen – nur das Neue kommt nicht von selbst, zumindest meistens nicht das, was man irgendwie will!
Die Regale im Haus werden wieder voller – ich weiß nicht genau wie! Manche haben nach der hart erarbeiteten Befreiung aus einer belastenden Partnerschaft, plötzlich eine neue Partnerschaft, die sich irgendwie genauso anfühlt wie die letzte – dabei wollten sie doch  ursprünglich endlich etwas anderes, …….

Freiraum ist Handlungs(spiel)raum!
Umgekehrt formuliert, wer nicht mehr handeln kann, ist nicht frei!

Und damit wären wir beim Knackpunkt: Freiräume schaffen ist das eine, aber sie frei zu halten, zu gestalten ist das Andere! Handlungs(spiel-) räume zu erhalten erfordert Achtsamkeit, Disziplin, manchmal auch Verzicht- das ist Arbeit! Das ist unbequem!

Hannah Arendt, die sich eher als politische Theoretikerin bezeichnete und nicht als Philosophin, hat dann auch festgestellt,
“ ….dass die Sehnsucht nach Befreiung keineswegs  identisch ist mit dem Willen zu Freiheit“

Früher war Unfreiheit oftmals alleine an das politische System gebunden wie Sklaverei, Dikatur, Totalitarismus….

Und heute? Formal hätten wir die Möglichkeit zur Freiheit? Doch wieviel Freiheit des Handelns und Entscheidens  haben wir tatsächlich im Alltag, in der Arbeit, im Leben?

Wieviele Stunden am Tag reagieren wir nur? Und wo entscheiden wir tatsächlich?

Ja, Freiheit fängt bei uns selbst an – Denken, Handeln, Arbeiten – hat aber auch Auswirkungen auf unser Umfeld und das wiederum auf uns.
Weshalb Freiheit eine unbedingt gesellschaftliche – politische Dimension hat!

Das heißt aber auch, wir können nicht heimlich frei werden, so, dass es keiner merkt! Freies Handeln erfordert auch eine Auseinandersetzung, einen Dialog mit unserem engeren und weiteren Umfeld und vielleicht manch unbequeme Entscheidung!

Und deshalb kann ich mich verstehen, dass ich lieber einmal im Jahr mein Haus ausmiste, als mich beim Einkaufen mehr zu disziplinieren, Entscheidungen zu treffen, was ich behalte, mich mit Mitbewohnern auseinanderzusetzen……

Dauerhafte Freiräume / Handlungsspielräume  erhalten und gestalten bedeutet : immer wieder achtsam und selbstkritisch sein müssen, Entscheidungen treffen, handeln, mit anderen auseinander- und zusammensetzen, Stellung beziehen…… mich auf einen ungewissen Weg einlassen!
Wer mag das schon?

Aber wenn wir frei leben und handeln wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als dafür einzustehen- angefangen bei uns selbst!

Vielleicht ist es notwendig, die Freiheit danach beim nächsten „Befreiungskampf“ mitzudenken:

Wie will ich die mühsam erkämpfte Freiheit gestalten?

 

 

Literatur:

Arendt, Hannah. (1987). Vita Activa oder vom tätigen Leben. Piper Verlag

Arendt, Hannah (2003). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Piper Verlag.

Brand eins (Heft01/ 2016). Mach dein Ding.

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