Wieder einmal richtig bewusst wurde es mir in Vietnam: als ein Lautsprecher vor meinem Schlafzimmerfenster in einer großen Stadt morgens um 6.15 Uhr für 40 min in einer unglaublichen Lautstärke mich mit seinen Weisheiten senkrecht im Bett stehen lies und –ich konnte nichts tun! Ich konnte nicht die Ohren zuklappen, ich konnte nicht weglaufen, wohin auch? Ich war dem Lärm ausgeliefert!
Ich überlegte mir, wohin ich am Abend und am nächsten Morgen fliehen könnte, um dem zu entkommen—
Den Rest dieses Tages war ich auf der Suche nach Stille, einem stillen Moment, einem stillen Ort….
Und ich fand ihn—- an einem kleinen See mitten in dieser unglaublich lauten, geschäftigen Stadt.
In dem See lagen noch Überreste eines alten B52-Bombers, auf dem sich ein Kolibri niedergelassen hatte – neben mir stand schweigend ein alter Mann.
Und für einen Moment erlebte ich sie, die STILLE….
Im Nachhinein frage ich mich allerdings, warum ich Stille mit diesem Bild verbinde und ob es tatsächlich still war oder einfach nur weniger laut als der Lärmpegel in den Gassen vorher..?
Oder hat dieses Bild von der B52, dem Kolibri und dem alten Mann mein inneres Geschwätz zum Schweigen gebracht? — ein Innehalten ausgelöst durch einen überraschenden, zauberhaften Moment?
Und seitdem bin ich auf der Suche – nach der Stille
-nach einem Platz, einem Moment, an dem es möglich ist, das Leben zu hören, zu vernehmen
Dabei ist mir aufgefallen:
1. Es gibt kaum mehr ruhige – geschweige denn stille – Plätze/ Orte!
2. Ruhe und Stille sind Luxus !
3. Kaum einen störts? Oder hören wir den Dauerlärm nicht mehr?
4. Sind wir überhaupt aufmerksam bzw wach genug die Stille zu hören?
…..doch selbst auf einem 4000er in den Alpen ist das kaum mehr möglich: Flugzeuge, Lifte, Helicopterskiing, redende Bergsteiger, Verkehrslärm aus dem Tal…… vielleicht noch in der Wüste?
Stille hat eine konsumhemmende Wirkung!
Diese nutzte die 1934 gegründete Muzak Holding LLC und verkauft erfolgreich Kaufhaus- und Fahrstuhlmusik –
Hier darf die Lautstärke allerdings nur geringfügig über dem Geräuschpegel der Umgebung sein. Lärm als konsumstützendes Marketinginstrument!
Ich frage mich, was perfider ist, die extrem lauten Lautsprecherweisheiten in Vietnam , die nicht zu überhören sind oder das leicht zu überhörende Branded Entertainment.
Gehen Sie einmal stillschweigend durch…. die Stadt, ein Kaufhaus, und hören Sie bewusst auf alle Geräusche…. – oder hören Sie einmal nur einem anderen Menschen zu – ohne sich schon vorher eine Antwort zurecht zu legen, zu bewerten, eigene Erinnerungen zu betrachten….. einfach nur zuhören…
Zum Hören gehört Wachheit!
Wer nicht wach ist, nimmt die Beschallung, den Lärm nicht mehr wahr, verfängt sich in den Intentionen der Marketingstrategien oder im Wirrwarr der eigenen Gedanken.
Zum (Zu-)Hören gehört schweigen, still werden!
Literaturempfehlungen dazu:
Berendt, J.E. (2007). Nada Brahma. Die Welt ist Klang. Frankfurt/M.
Berendt, J.E (1991). Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt. Hamburg
Shaffir,R.Z. (2000). Zen in der Kunst des Zuhörens. Kreuzlingen München.